MÄRTYRER

Marius von Mayenburg
Premiere am 12. März 2016

2015 / 2016            

Marius von Mayenburg / Premiere am 12. März 2016

„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ heißt es in Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes. Was aber, wenn dieser Glaube extreme Formen annimmt? Das Phänomen des Fanatismus wird uns heute fast täglich vor Augen geführt, als Ausleben brutaler Gewalt und Machtbedürfnisse, als Hass und gnadenlose Konsequenz. Die Quelle sehen wir dabei meist im Fremden und Entfernten, dabei lauert sie mindestens ebenso im Vertrauten und Nächsten, z.B. im Christentum. Was passiert, wenn man die Bibel wörtlich nimmt und mit radikalen Ansichten zu Evolutionstheorie und Antisemitismus provoziert? Und was, wenn dieser Fanatismus wiederum ebenso fanatisch bekämpft wird?MÄRTYRER hält der westlichen Welt den Spiegel vor und entlarvt so ihre fundamentalistischen Untiefen.

Regie Eva Lange
Bühne, Kostüme & Masken Carolin Mittler
Dramaturgie Lea Redlich
Sprechcoaching Deborah Ziegler

Regieassistenz Lotta Seifert
Soufflage Jannika Wübben
Inspizienz Björn de Groot

Mit Lutz Faupel* (Willy Batzler (Direktor), Amélie Miloy* (Erika Roth (Biologie, Chemie, Erdkunde), Aom Flury (Markus Dörflinger (Geschichte, Sport), Johannes Simons (Pfarrer Dieter Menrath (Religion), Gerrit Bernstein (Benjamin Südel (Schüler), Ramona Marx (Inge Südel (seine Mutter), Falk Seifert* (Georg Hansen (Schüler), Zenzi Huber (Lydia Weber (Schülerin)

Presseecho

Regisseurin Eva Lange hat mal wieder alle Mittel der szenischen Umsetzung ausgeschöpft und mit der versierten Dramaturgin Lea Redlich ein bemerkenswertes Bühnenstück produziert. Verkopft, starr- und stumpfsinnig agieren entpersonalisierte Trikot-Puppen mit immer gleichen Spielzügen und hilflosen Versuchen den Verirrten von seinem Märtyrer-Weg zurückzuholen, schreibt die Wilhelmshavener Zeitung. Gerrit Bernstein in der Rolle des Jung-Fundamentalisten Benjamin Südel springt, klettert und rutscht mit beeindruckender Kondition und gigantischer Maske, über ein mutiges, simultan bespielbares Bühnenbild (verantwortlich Carolin Mittler). Dies ist ausstaffiert mit überdimensionalen Requisiten: Eistüten, Taucherbrillen, Zahnbürsten wie für Riesen gemacht, unterfüttern mit gewollter Überzeichnung den Plot. Warum Benjamin sich plötzlich von einem „ganz normal verhaltensauffälligen Jungen“ zum „Jesusspinner“ entwickelt? Seine Mutter (Ramona Marx verkörpert diese gekonnt mit hilflosem Pragmatismus) vermutet Drogen oder sexuelle Probleme mit unkontrollierbaren Erektionen. Sein „Jünger“ Georg, fast schon anrührend von Falk Seifert gespielt, wird seinem „Herrn“ nicht bis zur letzten Konsequenz folgen. Auch Mitschülerin Lydia (Zenzi Huber besticht mit dynamischem Habitus) wirbt aber vergeblich um Freundschaft. Eher wie Abziehbilder aus dem Kabarett, dafür glänzend auf die Bühne gebracht, sind die Figuren des zögerlichen, auf gesellschaftlichen Konsens schielenden Schuldirektors Batzler (Lutz Faupel), des saftlosen Sportlehrers Markus Dörflinger (Aom Flury) und des Pfarrers Menrath (Johannes Simons) mit salbungsvollpastoralen Auftritten. (…) Bravourös, mit zynischem Unterton, verkörpert der WZ zufolge Amélie Miloy die Rolle der Biologielehrerin Erika Roth. Dass sie wegen ihres von der Umgebung sexuell interpretierten Bemühens um Benjamin zum Opfer wird, wirkt provokant, als Gedankenspiel im Nachhall diskussionswürdig. Frau Roth baut ihr Kreuz allein und sagt, einem Mantra gleich: „Hier bin ich richtig, hier bleibe ich, im Herbst kommen die neuen Schüler, ich hole das Skelett aus dem Schrank …“ Fazit der WZ: Ein bemerkenswertes Bühnenstück (…) mit grandiosem Finale.

Trotz allen Ernstes gibt es viele komische, tragikomische Momente, in denen sich das Publikum das Lachen gönnen darf, während die Tragödie ihren Lauf nimmt, beobachtet das Jeversche Wochenblatt. Es sei eine gewagte Inszenierung (…) gekonnt fokussiert mit einer mutigen Konstellation aus Maskenspiel, beredter Gestik, beispiellosen szenischen Bildern und einem frappanten Bühnenbild. (…) Bühnenbild und Kostüme hatte Carolin Mittler geschaffen und mit ihnen einen ebenso effektvollen wie überraschenden Rahmen für die Geschichte des 15-jährigen Schülers Benjamin. (…) Das Schwimmbad steht symbolisch für das emotionale Taumeln der Figuren, die immer wieder im schrägen Becken abgleiten, sich in die Umkleidekabinen zurückziehen und deren kommunikative Anstrengungen in ergebnislose Strudel geraten. Die Schauspieler bewältigen hervorragend die Herausforderung des gestenreichen Spiels, das die Mimik ersetzen muss, und die mitunter recht artistischen Bewegungsabläufe. (…) Ramona Marx karikiert bravourös die zwar mitfühlende, aber überforderte Alleinerziehende) Benjamins Entwicklung gegenüber Schulleiter und Lehrern. (…) Der Direktor, mit all seinen typisierenden Attributen von Lutz Faupel hervorragend darstellt.,(…) der Pastor und Religionslehrer (überzeugend in seinem Hirtendasein suhlend: Johannes Simons), (…) In der Rolle der Lydia scheinen sich dank Zenzi Hubers Spiel all jene anderen Mitschüler widerzuspiegeln, die sich vergebens um Benjamins Freundschaft bemühen. Allein die Biologie und Vertrauenslehrerin Frau Roth (sehr eindrucksvoll insbesondere auch in den Monologen: Amélie Miloy) versucht, sich in Benjamin hineinzufühlen – und schlittert gnadenlos dem eigenen Scheitern entgegen. Ihr Partner, Benjamins Sportlehrer (grandios situationsverkennend: Aom Flury), treibt zu sehr auf der Oberfläche, um ihr und auch Benjamin wirklich helfen zu können. Überhaupt sind sie alle am Schwimmen.

Fazit des Jeverschen Wochenblatts: Den Zuschauern wird einiges abverlangt: Konzentration und geschärfte Sinne ebenso wie das Ertragen des Umeinanderkreisens der Figuren, die sich ausgiebig den Symptomen von Benjamins Fanatismus widmen, aber mit verblüffender Ignoranz der Frage nach der Ursache ausweichen. Zudem gilt es, jene grausamen Bibelzitate auszuhalten, die Benjamin sich ohne historisch-kritische Hinterfragung angeeignet hat, um sich aus ihnen eine eigene Wahrheit aufzubauen.